Was sind eigentlich … Messunsicherheiten? Teil 1 – Grundsätzliche Bemerkungen
Die Messunsicherheit beschreibt die Genauigkeit einer Messung oder einer Prüfung. Die Prüfung ist eine Tätigkeit, die zu einer Feststellung führt, inwieweit ein Prüfobjekt eine Forderung erfüllt. Sie kann qualitativer oder quantitativer Art sein. Die Messung ist eine Tätigkeit, die zu quantitativen Aussagen über eine Messgröße führt – üblicherweise durch Angabe eines Zahlenwertes mit einer Einheit. Die Herangehensweise bei der Bestimmung von Messunsicherheiten für Mess- und Prüfergebnisse ist sehr ähnlich, daher ist im folgenden Text mit dem Wort Prüfung auch die Messung gemeint.
Prüfungen können nie hundertprozentig genau sein. Schwankungen der Werkstoffeigenschaften im Probenvolumen, geringste Änderungen im Prüfprozess oder zeitliche Änderungen im Prüfgerät führen stets zu Schwankungen der Prüfergebnisse. Damit ergibt sich die Frage: Welche Auswirkungen haben solche Schwankungen auf die Prüfergebnisse?
Der „wahre Wert“ einer Werkstoff- oder Bauteileigenschaft kann aus wirtschaftlichen Gründen nie exakt ermittelt werden – dafür wären sehr, sehr viele Messungen nötig. In der Praxis werden kleine Stichproben – beispielsweise ein Zugversuch oder drei Spektralanalysen – durchgeführt. Damit stellt sich eine weitere Frage: Wie gut repräsentieren die Ergebnisse dieser kleinen Stichproben die „wahren“ Bauteil- oder Werkstoffkennwerte?
Beide Fragen können mit Hilfe statistischer Methoden beantwortet werden. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Messunsicherheit u. Sie beschreibt ein Intervall ±u, das den Mittelwert x der Stichprobe umgibt (Vertrauensintervall) und in dem sich der wahre Wert µ mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit (Vertrauensniveau) befindet.
Den Mittelwert ermitteln wir, uns interessiert der wahre Wert, und die Messunsicherheit teilt uns mit, wie gut der Mittelwert den wahren Wert „getroffen“ hat. Typischerweise wird ein Vertrauensniveau von 95% gefordert. Das bedeutet, dass der wahre Wert µ mit 95%-iger Wahrscheinlichkeit innerhalb des Bereiches x ± u liegen muss. Je höher das geforderte Vertrauensniveau, desto breiter das Vertrauensintervall.
Warum sind Messunsicherheiten so wichtig? Ihre Bedeutung soll durch drei Beispiele veranschaulicht werden:
- Wenn zwei Labore ihre Prüfergebnisse vergleichen wollen, dann sollten natürlich auch ihre Prüfprozesse vergleichbar sein. Wenn beide Labore an derselben Stahlprobe einen mittleren Kohlenstoffgehalt von 0,40% bzw. 0,43% ermittelt haben, ist der Unterschied von 0,03% dann eine signifikante Abweichung oder liegt er im Rahmen „normaler“ Streuungen?
- Bei Konformitätsbewertungen (also Bewertungen, ob ein Produkt eine Anforderung erfüllt) spielen Messunsicherheiten eine zentrale Rolle. Wie bewerten wir zum Beispiel ein Bauteil, das eine Härte von mindestens 300 HV haben muss, wenn im Zeugnis eine mittlere Härte von 305 HV mit einer Messunsicherheit von ± 15 HV angegeben wurde?
- Bei der Dimensionierung von Bauteilen ist die Messunsicherheit ebenfalls von Bedeutung. Ein Konstrukteur soll beispielsweise eine Brücke für eine bestimmte Anzahl von Menschen auslegen. Für den Konstrukteur ist es wichtig zu wissen, ob das Ergebnis der Ermittlung der „mittleren Masse“ eines Menschen 80 ± 5 kg oder 80 ± 15 kg beträgt.
Die drei Beispiele zeigen, dass zu einem Prüfergebnis immer auch die Angabe der zugehörigen Messunsicherheit gehört, denn nur so können Prüfungen korrekt bewertet, verglichen und fundierte Entscheidungen getroffen werden.
Manchmal können Messunsicherheiten auch eine große Bedeutung für unser ganz normales Alltagsleben haben. Wie genau messen eigentlich die Radargeräte, die zur Tempokontrolle benutzt werden? Punkt oder nicht Punkt? Das ist dann manchmal die Frage …
Den zweiten Teil von „Was sind eigentlich … Messunsicherheiten?“ finden Sie unter diesem Link
Eine Anmerkung:
Werkstoff Service bietet Anwenderseminare zum Thema Messunsicherheiten in der Werkstoffprüfung an. Mehr dazu findet sich unter www.messunsicherheit.info .
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