20. Januar 2012

Wie funktioniert eigentlich … magnetische Hysterese? (Teil 2 – Mathematik)

Im ersten Teil des Blogbeitrages haben wir die magnetische Hysterese ferromagnetischer Werkstoffe als das Ergebnis des Zusammenspiels eines äußeren Magnetfeldes H und der magnetischen Flussdichte B, die die Vorgänge im Inneren des Ferromagneten beschreibt, kennengelernt.

Wir haben im Teil 1 gesehen, dass der Begriff Hysterese (griechisch hysteros: Verzögerung, Verzug) darauf zurückzuführen ist, dass die Flussdichte B der äußeren Feldstärke H zeitlich verzögert folgt. Das passiert, weil die Weißschen Bezirke im Ferromagneten, deren Änderung die Flussdichte beschreibt, dem äußeren Magnetfeld nur dann folgen können, wenn ihnen genügend Energie zur Verfügung steht, um innere Widerstände zu überwinden.

 

Abb. 1: Neukurve (NK) und Hysteresekurve (HK) eines Ferromagneten

Nachdem wir die Hysteresekurve im ersten Teil physikalisch erklärt haben, wollen wir nun außerdem noch die Mathematik zu Hilfe nehmen, um die Eigenschaften von Hysteresekurven genauer zu analysieren. Alle Bilder in diesem Blogbeitrag wurden übrigens mit Hilfe einer Excel-Tabelle erstellt. Wir starten mit Abb. 1, die uns die Neukurve und die Hysteresekurve eines Ferromagneten zeigt. Ein gutes mathematisches Modell sollte uns folgendes liefern und erklären:

  • Form und Verlauf der Neukurve
  • Form und Verlauf der Hysteresekurve
  • Hysteresekurven unterschiedlicher Breite für Weich- und Hartmagnete

Für die Erzeugung einer Hysteresekurve benötigen wir ein magnetisches Feld H, das seine Größe und Richtung ändert. Das können wir durch eine wechselstromdurchflossene Spule erzeugen – das Feld H hat dann einen sinusförmigen Verlauf. Wir nehmen zunächst einmal an, dass die Flussdichte B den „Kommandos“ der Feldstärke H umgehend (also ohne Verzug) folgt und daher einen sehr ähnlichen Verlauf hat. Mathematisch bedeutet das:

H = Ho · sin(t) und B = Bo · sin(t)

 

Abb. 2: sinusförmiger Verlauf von H und B ohne Phasenunterschied (ohne zeitliche Verzögerung)

In Abb. 2 ist links der Zeitverlauf von H und B dargestellt. Da für H und B der Einfachheit halber eine identische Skalierung angewendet wurde, liegen beide Sinuskurven aufeinander. Rechts ist die Flussdichte B über der Feldstärke H aufgetragen und wir finden einen linearen Zusammenhang: Erhöht sich H, erhöht sich auch B. Ist H maximal, ist es auch B. Nimmt H ab, nimmt auch B ab, … Wir „laufen“ also einfach auf einer geneigten Linie hoch und runter (schwarzer Pfeil). Das hat nichts mit Hysterese zu tun.

Jetzt bauen wir die zeitliche Verzögerung zwischen magnetischer Flussdichte B dem Magnetfeld H in unsere Formeln ein, indem wir in die Sinusfunktion für das B-Feld eine Phasenverschiebung (Zeitverschiebung) φ einfügen:

H = Ho · sin(t) und B = Bo · sin(t + φ )

Die Phasenverschiebung φ ist die „Zusatzzeit“, die die Flussdichte B wegen der Hysterese benötigt. Die Abb. 3 und 4 zeigen den Zusammenhang von H und B für Phasenverschiebungen von 1/20 Periode bzw. 1/10 Periode. Bezogen auf eine 50Hz-Wechselgröße (Periodendauer 20 ms) bedeuten diese Werte eine zeitliche Verzögerung der „Reaktion“ der Flussdichte B gegenüber den „Kommandos“ der Feldstärke H von 1 ms bzw. 2 ms.

Abb. 3: sinusförmiger Verlauf von H und B mit einer Phasenverschiebung φ von 1/20 Periode

Abb. 3 und 4 liefern uns jetzt in der Tat Hysteresekurven- also Kurven, die eine Fläche umschließen. Allerdings sehen diese ellipsenförmig aus und nicht „viereckig“ – das „ändern“ wir weiter unten noch … Vergleichen wir Abb. 3 und 4 mit Abb. 1, so erkennen wir zwei Sachverhalte wieder:

  • Wir haben in allen drei Fällen Hysteresekurven, auch wenn sich die Kurvenformen unterscheiden. Die Entstehung der magnetischen Hysterese hat in der Tat damit zu tun, dass die magnetische Flussdichte B dem äußeren Magnetfeld H zeitlich verzögert folgt (Phasenverschiebung φ ).
  • Je größer die zeitliche Verzögerung zwischen B und H, desto breiter werden offensichtlich die Hysteresekurven. Weich- bzw. hartmagnetisches Verhalten lässt sich also berechnen.

 


Abb. 4: sinusförmiger Verlauf von H und B mit einer Phasenverschiebung φ von 1/10 Periode

Wollen wir die Neukurve und das Sättigungsverhalten erklären, so müssen wir uns von dem Gedanken trennen, dass die magnetische Flussdichte B ebenso wie die Feldstärke H einen sinusförmigen Verlauf hat. Wir nehmen für B einen eher „kastenförmigen“ Verlauf an (Abb. 5) – diese Annahme wird einige Absätze weiter unten begründet. Mathematisch machen wir das, indem wir 5 Sinus-Funktionen verschiedener Ordnung (t, 3t, 5t, …) und unterschiedlicher Amplituden (B1, B3, B5, …) kombinieren. Auf eine Phasenverschiebung φ können wir zunächst verzichten.

Man kann je nach Art und Anzahl der Sinusfunktionen beliebige Formen „erzeugen“: kastenförmige, dreieckige, kreisförmige, … Warum wurden hier gerade fünf Sinusfunktionen verwendet? Weil die Fünf ausreichend waren, um den dargestellten (und recht gut gelungenen) „Kasten“ zu erzeugen – vier hätten dafür nicht gereicht.
Betrachten wir die Darstellung von B über H (Abb. 5, rechts) – und dort speziell den oberen rechten Teil, dann finden wir in guter Näherung unsere Neukurve (Abb. 5: NK) inklusive des Sättigungsverhaltens wieder.


Abb. 5: Verlauf von H (sinusförmig) und B („kastenförmig“) ohne Phasenunterschied φ

Zur Erklärung von Neukurve und Sättigung haben wir keinen Zeitverzug zwischen H und B benötigt. Soll unser mathematisches Modell nun Hysteresekurven erzeugen, die den „wirklichen“ Hysteresekurven nahekommen, so müssen wir die zeitliche Verzögerung zwischen H und B und den „kastenförmigen“ Verlauf von B miteinander kombinieren:

B = B1 · sin(t + φ) + B3 · sin(3t + φ) + B5 · sin(5t + φ) + B7 · sin(7t + φ) + B9 · sin(9t+φ)

Die Phasenverschiebung φ beschreibt wieder die zeitliche Verzögerung zwischen Feldstärke H und Flussdichte B. Abb. 6 und 7 zeigen den Zusammenhang von H und B wieder für Phasenverschiebungen von 1/20 bzw. 1/10 Periode.

An dieser Stelle wollen wir klären und begründen, warum die Flussdichte B einen derart „kastenförmigen“ Verlauf hat. Weil sich die Weißschen Bezirke und damit auch die Flussdichte B zunächst nicht ändern, solange nicht genügend Energie für die Drehung der Weißschen Bezirke vorhanden ist. Das entspricht dem horizontalen Verlauf von B in den Abb. 6 und 7. Wenn genügend Energie zur Verfügung steht, dann geschieht die Änderung sehr schnell. Das entspricht dem nahezu vertikalen Verlauf von B in den Abb. 6 und 7. Zusammen ergibt das den „kastenförmigen“ Verlauf.


Abb. 6: Verlauf von H (sinusförmig) und B („kastenförmig“) mit einem Phasenunterschied φ von 1/20 Periode

Je größer die inneren Widerstände im Werkstoff, desto mehr Energie wird für die Drehung der Weißschen Bezirke benötigt. Um diese Energie zu sammeln, braucht es „Extrazeit“, die wir mit der Phasenverschiebung φ beschreiben. Eine große Phasenverschiebung produziert eine breite Hysteresekurve und beschreibt damit mathematisch die großen Energien, die für die Drehung benötigt werden.
Wir haben nun „nahezu perfekte“ Hysteresekurven konstruiert. Unsere Zutaten waren:

  • sinusförmiger zeitlicher Verlauf der magnetischen Feldstärke H
  • „kastenförmiger“ Verlauf der magnetischen Flussdichte B
  • Phasenverschiebung φ zwischen H und B

Für die Konstruktion der Hysteresekurven in den Abb. 6 und 7 haben wir Sinusfunktionen verschiedener Ordnung miteinander kombiniert. Ist dies nur eine mathematische Spielerei oder hat das auch werkstofftechnischen „Nährwert“?
Dazu betrachten wir die Hysteresekurve in Abb. 8. Die ist durch dieselbe Kombination von Sinusfunktionen entstanden wie die in Abb. 7, aber mit einer Ausnahme:
Die Amplitude B9 der letzten Sinusfunktion wurde ein klein wenig verändert – und die Auswirkungen sind in Abb. 8 deutlich sichtbar.


Abb. 7: Verlauf von H (sinusförmig) und B („kastenförmig“) mit einem Phasenunterschied von 1/10 Periode

Wie nutzen Werkstoffwissenschaftler so etwas?
Nun, sie messen die Hysteresekurve eines „Gut-Werkstoffes“, zerlegen diese (oder genauer die Flussdichte B, die sich in der Hysteresekurve verbirgt) in ihre einzelnen Sinusfunktionen und ordnen bestimmten Werkstoffeigenschaften bestimmte Sinusfunktionen zu. Werden nun andere Proben dieses Werkstoffes untersucht und finden sich Veränderung in den Hysteresekurven (z.B. eine Änderung der Amplitude B9), dann kann man diese Änderung einer ganz bestimmten Sinusfunktion zuordnen und so Rückschlüsse auf die konkrete Werkstoffeigenschaft ziehen, die sich hinter dieser Sinusfunktion „verbirgt“.


Abb. 8: Verlauf von H und B mit Phasenunterschied von 1/10 Periode und „Störung“ von B

Das ganze Verfahren nennt man Oberwellenanalyse. Warum Oberwellenanalyse? Dazu betrachten wir noch einmal die Formel:

B = B1 · sin(t) + B3 · sin(3t) + B5 · sin(5t) + B7 · sin(7t) + B9 · sin(9t)

Die erste Sinusfunktion (sin(t)) nennt man Grundschwingung (oder auch Grundwelle) und alle anderen Sinusfunktionen (sin(3t), sin(5t), …) werden Oberwellen genannt. Diese werden der Oberwellenanalyse unterzogen. Mittels Oberwellenanalyse von Hysteresekurven lassen sich also die Materialeigenschaften ferromagnetische Werkstoffe prüfen.

Die Oberwellenanalyse ist übrigens etwas, was jeder Mensch praktisch jeden Tag durchführt. Wir hören sofort, ob ein Ton harmonisch klingt oder eher dissonant (also unharmonisch). Dissonanzen werden u.a. durch „fehlerhafte“ Oberwellen verursacht. Unser Gehirn analysiert dazu die Oberwellen akustischer Töne. Was fehlerfrei ist, das „klingt gut“. Was fehlerhaft ist, nehmen wir als unangenehmen Klang wahr.

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