13. Oktober 2011

Was sind eigentlich … Versetzungen?

Versetzungen begegnen uns vor allem in Metallen. Dort sind die Atome ganz regelmäßig angeordnet und bilden auf diese Art Kristalle. Was könnten wir mit einem Metall wie z.B. Eisen anfangen, in dessen Inneren sich die Atome absolut perfekt, ohne jede Abweichung – also ohne jeden Kristallbaufehler – angeordnet haben? Die vielleicht überraschende Antwort: Herzlich wenig!

So überraschend es klingt: Metalle funktionieren nur durch Ihre Kristallbaufehler. Und der sicher wichtigste unter diesen Kristallbaufehlern ist die Versetzung. Versetzungen machen z.B. die plastische Verformung von Metallen erst möglich und bestimmen Festigkeit und Zähigkeit eines Werkstoffes entscheidend.

Die Theorie der Versetzungen ist recht kompliziert, es gibt aber ein gutes Beispiel aus dem Alltagsleben, an dem man alles Wichtige verdeutlichen kann. Unseren Werkstoff stellen wir uns als einen großen Teppich vor. Dann ist die Versetzung eine Teppichfalte. Wollen wir den Teppich verschieben, dann erzeugen wir eine Teppichfalte und schieben diese durch den Teppich. Reicht die Verschiebung nicht aus, dann schieben wir eine weitere Falte hinterher. Durch entsprechend orientierte Teppichfalten und deren Anzahl können wir den Teppich in beliebige Richtung und beliebig weit verschieben.

Plastische Verformung von Werkstoffen (z.B. Schmieden oder Walzen) bedeutet Bewegung von Versetzungen durch den Werkstoff bis die gewünschte Form erreicht ist. Allerdings ist unsere Versetzung im Vergleich zur Teppichfalte winzig klein und „verschiebt“ den Werkstoff nur um etwa den zehnmillionsten Teil eines Millimeters. Bei der Massivumformung eines Werkstoffes (z.B. beim Schmieden) ist also eine unvorstellbar große Zahl von Versetzungen im Einsatz.

Wollen wir unseren Werkstoff verformen (den Teppich verschieben), dann sollen sich die Versetzungen (Teppichfalten) natürlich ungehindert bewegen können. Hindernisse im Werkstoff (auf dem Teppich) wie zum Beispiel Ausscheidungen (Gegenstände auf dem Teppich) wären da extrem hinderlich. Aus diesem Grunde erwärmt der Schmied seinen Stahl vor dem Verformen auf weit über 1000°C. Dadurch werden Ausscheidungen aufgelöst und außerdem ändert sich die Kristallstruktur des Stahls derart, dass die Versetzungen sich besonders gut bewegen können – die Verformung also besonders einfach ist.

Ist ein Metall weich und zäh bedeutet das, dass Versetzungen sehr gut beweglich sind. Hohe Festigkeit und Sprödigkeit hingegen erhält man, wenn sich Versetzungen schlecht oder nicht mehr bewegen. Wollen wir einen Werkstoff also „in Form bringen“, dann soll der Werkstoff weich sein. Die Versetzungen müssen sich einfach bewegen können. Ist er einmal in Form, dann darf sich diese üblicherweise nicht mehr ändern und der Werkstoff wird fest sein. Die Versetzungen sollen sich also nur noch schwer bewegen können.

Bei Stahl erreichen wir das z.B. durch eine Wärmebehandlung – hier durch Vergüten. Durch die Wärmebehandlung sorgen wir dafür, dass unser Werkstoff fest wird (der Teppich sich schwer verschieben lässt), in dem wir die Beweglichkeit die Versetzungen (Teppichfalten) stark behindern. Dazu legen wir den Versetzungen ganz gezielt Hindernisse wie zum Beispiel Eisenkarbid-Ausscheidungen in den Weg (Gegenstände auf dem Teppich).

Schmied und Wärmebehandler beschäftigen sich schon seit Jahrtausenden mit Versetzungen (ohne das früher gewusst zu haben). Der Unterschied: Der Schmied will Versetzungen ungehindert durch das Kristallgitter der Metalle treiben. Der Wärmbehandler will üblicherweise genau das Gegenteil – er will die Versetzungen behindern wo er kann.

 

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