Was sind eigentlich … Messunsicherheiten? Teil 2 – Generelles Vorgehen
Der erste Teil des Beitrages begann mit dem Satz: Die Messunsicherheit beschreibt die Genauigkeit einer Messung… Aber was bedeutet Genauigkeit? Ein Messergebnis ist genau, wenn es sowohl richtig als auch präzise ist!
Die Richtigkeit ist ein Maß dafür, wie gut der Mittelwert mehrerer Messungen einen Sollwert (z. B. den „richtigen Wert“ einer Referenzprobe) trifft. Die Präzision beschreibt die Streuung der einzelnen Messwerte um diesen Mittelwert unter der Voraussetzung, dass man die Messungen unter identischen Bedingungen wiederholt.
Die Messunsicherheit setzt eine möglichst hohe Richtigkeit des Messprozesses voraus und beschreibt auf der Basis dieses „richtigen Messprozesses“ die Abweichungen der einzelnen Messwerte bzw. Mittelwerte vom wahren Wert (siehe Teil 1). Die Messunsicherheit beschreibt also nicht die Ungenauigkeit oder Fehlerhaftigkeit von Messprozessen, sondern ganz im Gegenteil das Maß an (möglichst hoher) Sicherheit, das mit der Messung verbunden ist!
Das generelle Vorgehen bei der Ermittlung von Messunsicherheiten können wir in 7 Schritten zusammenfassen:
Schritt 1
Festlegung des Messverfahrens, mit dem wir z. B. eine physikalische Größe ermitteln wollen. Am Beispiel erklärt: Wenn wir die Masse m eines Körpers messen wollen, so könnten wir z. B.:
• Dichte ρ und Volumen V ermitteln und damit berechnen: m = ρ ⋅ V
• Gewichtskraft F und Fallbeschleunigung g ermitteln und damit berechnen: m = F / g
Schritt 2
Korrekte Einstellung der Messgeräte, denn die Bestimmung aussagefähiger Messunsicherheiten setzt eine richtige Messung voraus. Diese Einstellung kann mit Referenzproben oder Referenzverfahren erfolgen oder durch eine Kalibrierung der Geräte – z. B. durch ein akkreditiertes Kalibrierlabor, das wiederum Referenzproben oder Referenzverfahren benutzt …
Schritt 3
Ermittlung aller Einflussgrößen, die Auswirkungen auf die Messung haben. Auch hier am Beispiel erklärt: Wenn wir die Gewichtskraft F mit einer Waage messen, dann müssen wir uns u. a. Gedanken machen über:
• die Genauigkeit der Mechanik bzw. Elektronik der Waage
• die Art und Weise, wie und wo wir den Körper auf die Waage stellen
• die Genauigkeit der Referenzmasse, mit der die Waage überprüft wird
• der Auftrieb des Körpers
Schritt 4
Ermittlung der Verteilungsfunktionen für diese Einflussgrößen (Normalverteilung, Rechteckverteilung, Dreieckverteilung, …) und der Standardabweichungen, mit denen die Einflussgrößen streuen. Bezogen auf eine normalverteilte Größe bedeutet das, dass mit einer Sicherheit bzw. Signifikant von ca. 68% (±1⋅σ) gearbeitet wird.
Schritt 5
Überprüfung auf Korrelationen zwischen den Einflussgrößen. Das bedeutet, es ist zu prüfen, ob die Einflussgrößen abhängig (korreliert) oder unabhängig voneinander sind. Wird z. B. für die Überprüfung von zwei Einflussgrößen ein und derselbe Referenzkörper benutzt, dann sind diese Größen nicht mehr unabhängig voneinander. Korrelierte Einflussgrößen machen die Bestimmung der Messunsicherheit komplizierter – also möglichst vermeiden!
Schritt 6
Berechnung der einfachen Messunsicherheit aus den Standardunsicherheiten der Einflussgrößen. Für Einflussgrößen, die voneinander unabhängig sind, gilt:
• Die mittlere Messunsicherheit ist die Wurzel aus der Summe der Quadrate der Standardabweichungen der Einflussgrößen. Dieses Vorgehen ist das “übliche Vorgehen“
• Die maximale Messunsicherheit ergibt sich aus der Addition der Standardabweichungen
Schritt 7
Festlegung der erweiterten Messunsicherheit und damit eines erweiterten Vertrauensintervalls in dem ein erhöhtes Vertrauensniveaus (eine erhöhte Signifikanz) gilt. In der Laborpraxis ist ein Faktor 2 üblich, mit dem die einfache Messunsicherheit multipliziert wird. Dieser Faktor 2 (oder ± 2⋅σ oder ca. 95%) bedeutet, dass sich der wahre Wert der Messgröße mit etwa 95%iger Wahrscheinlichkeit (Vertrauensniveau) innerhalb des Intervalls befindet, das durch die Messunsicherheit definiert wird (Vertrauensintervall).
Das Higgs-Teilchen – der etwas anderer Blick auf Messunsicherheiten
Derzeit ist das Higgs-Teilchen oder auch Gottesteilchen, wie es aus Marketinggründen genannt wird, in aller Munde. Zwei Forscherteams mit jeweils ca. 2500 Wissenschaftlern arbeiten an den beiden Detektoren (ATLAS und CMS) des LHC, und haben beide ein Teilchen mit einer Energie von 125 GeV nachgewiesen (so wie es für das Higgs-Teilchen vorausgesagt wird) – das eine Team mit einer Signifikanz von 5⋅σ, das andere Team mit einer Signifikanz von 4,9⋅σ.
Erst wenn die Signifikanz für beide Teams über 5⋅σ liegt, wird das Ergebnis als die Entdeckung des Higgs-Teilchens anerkannt. Was bedeutet das? Das bedeutet, erst wenn sich beide Teams mit einer Signifikanz von mehr als ± 5⋅σ oder 99,999943% ihrer Messungen sicher sind, gibt es Nobelpreise – wahrscheinlich einen für Peter Higgs (obwohl noch 5 andere Theoretiker diese Idee hatten) und sicher einen für einige Experimentalphysiker des CERN.
Den nächsten der Serie „Was sind eigentlich … Messunsicherheiten?“ finden Sie unter diesem Link zum Teil 3
Ein Hinweis in eigener Sache
Informationen zu unserem Anwenderseminar „Messunsicherheiten in der Werkstoffprüfung“ finden sich unter www.messunsicherheit.info
Categories TrainingCenter, Werkstofftechnik
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